Bild des Monats Oktober
Franz Radziwill
„Stehender Akt mit Hühnern“, 1920/21

Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Pünktlich zu den Feierlichkeiten 900 Jahre Varel taucht im Dangaster FRANZ RADZIWLL HAUS ein verschollen geglaubtes Gemälde auf, das ab sofort öffentlich besichtigt werden kann. Natürlich ist dieses Bild keine 900 Jahre alt, es entstand vor 104 Jahren von der Hand des Malers, wahrscheinlich anlässlich seines allerersten Besuchs 1920 in Dangast:
Das Fischer- und Bauerndorf, auf das der berühmte Kollege Karl Schmidt-Rottluff den jungen Radziwill hingewiesen hatte, sollte fortan zu dem Ort werden, der seine weitere künstlerische Karriere entscheidend beeinflusste. Ab 1923 machte Radziwill das frühere Künstlerdorf der Brücke-Maler für sechs Jahrzehnte bis zu seinem Tod 1983 zu seiner eigenen Wahlheimat.

 

Stehender Akt mit Hühnern ist der Titel des geheimnisvollen Œuvres:

Eine nackte junge Frau steht im Vordergrund des Bildes, hinter ihr ein Dorf mit weißen Häusern und eine leuchtend rote Straße, auf der zwei schwarz-weiße Hühner laufen. Ein drittes Huhn, winzig klein, sitzt auf der linken Hand der Frau und hebt sich vor ihrer nackten Haut deutlich ab. Im Hintergrund befinden sich drei weitere Personen. Eine davon blickt aus dem Fenster des Hauses rechts hinter der jungen Frau auf diese, möglicherweise ihre besorgte Mutter. Eine männliche Figur mit grünem Oberteil und roten Stiefeln geht auf der Straße direkt davor. Die dritte Person scheint im dunklen, mit roten Streifen durchzogenen Himmelshintergrund schwerelos über das Dach eines Hauses hinauf zu steigen. Besonders diese Szenerie erinnert an die Werke Marc Chagalls.

Das bisher unentdeckte Werk versteckte sich auf der Rückseite eines anderen Bildes, dem Bauerndorf von 1923, das heute die Schauseite ausmacht und in der Jahresausstellung ALLES AUF ANFANG 2023 zu sehen war – Franz Radziwill wird vermutlich das frühere Gemälde verworfen haben, die Leinwand gedreht und dann das normalerweise sichtbare Landschaftsbild gemalt haben.

2023 sollte ebendieses Bild bei einem Wendemanöver im FRANZ RADZIWLL HAUS gedreht und die Rückseite präsentiert werden. Nur fand die Kuratorin den Stehenden Akt mit Hühnern vernagelt vor: Ein stabiler Rückseitenschutz aus Sperrholz verdeckte das ganze Gemälde und konnte erst jetzt mit Hilfe einer Restauratorin fachgerecht entfernt werden. Nur so wurde das Bild endlich im wahren Sinne des Wortes entdeckt.

Nicht nur das Gemälde selbst hat einiges zu erzählen, auch die gleichfalls freigelegte Rahmenrückseite hält weitere Überraschungen bereit.
Aufkleber dokumentieren den Weg des Bildes durch den Kunsthandel. Außerdem gibt es handschriftliche Notizen des Malers selbst. So findet sich der Schriftzug Erinnerung an Dangast auf dem Keilrahmen, wobei es sich möglicherweise sogar um den eigentlichen Titel handelt.

Unten rechts auf dem Keilrahmen liest man die weitere Notiz: der Mann.

Vielleicht die Figur mit den roten Stiefeln, nach der die schöne junge Frau aus den Augenwinkeln keck Ausschau hält?

Das Werk wird seit dem 26. September in der aktuellen Ausstellung „Was da kreucht und fleucht“ präsentiert. Radziwill-Kenner Karl-Heinz Martinß wird in seiner Führung am Sonntag, den 06. Oktober, 11:30 Uhr im FRANZ RADZIWILL HAUS besonders auf dieses Bild des Monats eingehen.