Das Bild zeigt einen Stilumbruch. Als Expressionist nach Dangast gekommen, hätte Franz Radziwill damals von sich selbst wohl nicht erwartet, schon bald ein solches Bildnis zu malen: In seinem „Selbstbildnis mit weißer Kappe“ von 1924 ist kaum noch etwas vom wilden Expressionismus zu spüren – höchstens das leuchtende Rot spricht noch von der expressionistischen Vorliebe für starke Farben.

Stattdessen ähnelt sein Selbstporträt Werken aus der Renaissance: Es ist ein klassisches Brustbild, Radziwill zeigt sich im Dreiviertelprofil in einem Innenraum, das Fenster gibt den Blick in die Landschaft frei. In Renaissancebildnissen halten die Porträtierten oft einen Gegenstand in ihren Händen, der sie als Attribut kennzeichnet. Für den Maler hätte eine Palette oder ein Pinsel gepasst. Aber Radziwill zeigt sich als Mann des Wortes: Er hält ein Buch und weist mit dem Daumen auf die einzigen Worte darin: seine Signatur.

Radziwill hatte gute Gründe, die Schrift so in den Mittelpunkt zu rücken. In den frühen 1920er Jahren schrieb der Maler auch Gedichte und Prosatexte und galt als „Maler-Dichter“. Damals begann auch seine enge Freundschaft mit dem Hamburger Kunsthistoriker und Schriftsteller Wilhelm Niemeyer. Niemeyer war 20 Jahre älter, gut vernetzt und wurde Radziwills wichtigster geistiger Mentor. Jahrzehntelang tauschten sie Briefe aus, und Radziwill schuf 1922 ein aquarelliertes Malerbuch für Niemeyer. Sie waren sich als Schreibende verbunden. Für diesen engen Freund malte Radziwill sein „Selbstbildnis mit weißer Kappe“. Parallel malte er auch ein Porträt von Niemeyer. Hinter Niemeyer sieht man durchs Fenster Gebäude wie aus Dangast; Radziwill sitzt dagegen vor einer städtischen Architektur, die eher an Hamburg erinnert. In ihren Bildern besuchen sich die Freunde also quasi gegenseitig. Radziwill unterstrich die Verbundenheit der Bilder und der Freunde damals noch in einem Brief an Niemeyer. Als er die Gemälde vollendete, schrieb er ihm: „Neben deinem Bildnis liegt das meinige in den letzten Wehen – Zwillinge.“

Für Franz Radziwill und Wilhelm Niemeyer belegte das Selbstbildnis also ihre Freundschaft. Gleichzeitig hielt der Maler es offenbar für einen würdiges Aushängeschild: Für seinen ersten Katalog zu einer Einzelausstellung 1925 in Oldenburg wählte Radziwill dieses Motiv als Coverabbildung. Nun ist es erstmals wieder am Ort seiner Entstehung zu sehen. Bei der öffentlichen Führung am Sonntag, den 01. Mai 2022, stellt Karl-Heinz Martinß dieses besondere Bild vor und führt durch die Ausstellung „Familie. Freunde. Fremde.“. Sie zeigt noch über 40 weitere von Radziwills seltenen Figurenbildern und Porträts.

 

Termin: 01.05.2022

Uhrzeit: 11:30 Uhr

Eintritt: 9 €

 

Zum Schutz von Publikum und Mitarbeitenden gilt im Franz Radziwill Haus weiterhin die Maskenpflicht.