„Landschaft mit zweiflügeliger Mühle“, 1924

Im April ist es Zeit, den Boden mit Kartoffeln zu bepflanzen. Im Gemälde „Landschaft mit zweiflügeliger Mühle“ liegt ein großer Acker zwischen grünen Feldern. Die  Wiedergabe der dunklen, gefurchten Erde schafft einen eigentümlichen Kontrast zu den benachbarten Böden, die wie abstrakte Farbfelder anmuten. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen gestalten Flächen setzt sich im Mittelgrund fort und führt den Blick zu einer kleinen Häusergruppe rechts im Bild.

Das höchste Haus mit dem spitzen Schieferdach trägt eine gelbe Fassade, das mittlere Gebäude ein rotes Dach und direkt vor einer Scheune liegt ein blaues Feld. Damit werden, wie so oft in Radziwills Gemälden, die drei Grundfarben der Malerei versammelt. Ganz anders erscheint das Kolorit im Bildzentrum. In düsteren Tönen gestaltet, steht die Mühle wie ein Rudiment aus vorindustriellen Zeiten da. Einstmals besaß fast jedes friesische Dorf eine Windmühle. Viele wurden sogar zu Wahrzeichen ihrer Ortschaften. Diese Mühle aber, die Radziwill malte, scheint vergessen. Mit ihren zwei Flügeln ist sie nicht funktionsfähig. Sie steht still. Und auch in der Malweise erscheint die Mühle inmitten der reetgedeckten Bauernhäuser aus der Zeit gefallen. Über die Landschaft spannt sich ein heller, wolkiger Himmel. Die Horizontlinie ist von den nahen und fernen Gebäuden verstellt. Die quadratische Bildfläche teilte der Künstler mittig in Erde und Firmament, beide bilden gleichwertig den Raum. Konzentriert man sich bei der Betrachtung des Gemäldes allein auf die Mühle in ihrem dörflichen Gefüge, könnte es sich auch um ein Werk der Alten Niederländer handelt. Zur Entstehungszeit des Bildes, 1924, hatte Radziwill begonnen, die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts zu studieren. Er reiste nach Amsterdam, um in den Museen die Originale von Malern wie Jan van Goyen, Jakob van Ruisdael  Jan Vermeer und Rembrandt van Rijn zu studieren. Die Landschaftsdarstellung ist als eigene Gattung der Malerei im 17. Jahrhundert erst entstanden. Zuvor diente die Landschaft vor allem als Kulisse für biblische Themen. Es waren die Niederländer, die das Sujet erstmals zur Blüte machten, gefolgt von den Romantikern, die das Aufgehen des Menschen in der Natur und die Landschaft zum Träger von Stimmungen und zum Sinnbild kosmischer Kräfte machten. In allen verschiedenen Kunstepochen, sei es auch das Mittelalter, die Renaissance oder die Moderne, verdeutlicht die Landschaftsmalerei das sich wandelnde Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, bringt seine Ideen und Gefühle gegenüber der Natur zum Ausdruck und macht den Wandel kultureller und wirtschaftlicher Verhältnisse erkennbar. Zurück zum bilddominierenden Acker in Radziwills Gemälde. Er führt den Blick in Richtung Horizont, vorbei an dem Zeugnis vergangener Zeiten, in der sich noch vier Flügel im Wind bewegten. Bilderzählung und Malweise verbinden Historie mit Moderne.