Fliederduft liegt in der Luft

In der Geschichte der Stillleben-Malerei erscheint wohl kein Motiv häufiger als das Blumenstück. Bis heute sind die bunt blühenden Pflanzen ein beliebtes Thema, dem zugleich das Vorurteil anhaftet, dekorativ oder gar kitschig zu sein. Franz Radziwill widmete sich diesem Sujet gleich hundertfach. Als Kunstwerk des Monats Juni betrachten wir sein Ölgemälde „Flieder in blauer Vase“ aus dem Jahr 1966. Violett erblühte Fliederzweige sind mit weißen und roten Blumen zu einem üppigen Strauß gebunden, der in einer blauen Vase auf einem hölzernen Untergrund steht. Von links fällt Licht auf das Arrangement, das von der matt glänzenden Lasur der Vase reflektiert wird. In ihrem Schatten ist eine Schachtel zu entdecken. Soweit sich die Lettern entziffern lassen, trägt sie die Aufschrift „RINAMAE“. Bis dahin knüpft das Werk kompositionell an die Tradition klassischer Blumenstillleben an. Doch ist die Blumenvase nicht Bestandteil des Interieurs, wie etwa dem Wohnhaus des Malers, sondern sie befindet sich samt dem Tisch in einem scheinbar grenzenlosen Raum. Wolkendunst schiebt sich vor die Ansicht einer verkorkten Flasche. Ein wildes Kraut wächst über die Tischkante hinweg. Wenn überhaupt, wird die Trennung zwischen Innen und Außen mit der dunklen „Wand“ im Hintergrund rechts vermittelt, die den Blick auf den Himmel entweder gerade öffnet oder aber bald zu verschließen droht. Diese fantastisch anmutenden Elemente sind typisch für das Bildrepertoire von Franz Radziwill, der sich selbst als „symbolischen Realisten“ apostrophierte. Im Verlauf mehrerer Jahrzehnte hat er ein ganz eigenes Zeichensystem entwickelt. Die Auflösung der Trennung zwischen Raum und Haus oder, anders formuliert, die Einbindung des menschlichen Daseins in das große Ganze, das hier zum Ausdruck gebracht wird, ist von Beginn seines künstlerischen Schaffens an ein Kardinalthema des Malers gewesen. Und was die Vergänglichkeit betrifft, die in Stillleben klassischerweise eine Rolle spielt, so können die Blumen im Bild nicht vergehen. Im Zuge des Malprozesses hat Radziwill den bunten Strauß für uns konserviert.