Mit dem Bildnis seiner Mutter war Franz Radziwill sehr zufrieden. 1925 schrieb er einem Freund: „Wir waren 14 Tage bei meiner Mutter. In diesen Tagen habe ich es gleich wahrgenommen meine Mutter zu malen. Stolz zog ich zurück, daß mir wieder ein gutes Bildnis gelungen ist.“

Künstlerinnen und Künstler haben oft ihre Eltern gemalt. So gibt es vom Renaissancemaler Albrecht Dürer eine berühmte Zeichnung seiner alternden Mutter, und der Romantiker Philipp Otto Runge hat seine gutbürgerlichen Eltern in einem lebensgroßen Bildnis festgehalten. Besonders stark erinnert Radziwills Porträt seiner Mutter aber an ein Gemälde seines Zeitgenossen Otto Dix (1891–1969). Sie hatten sich Anfang der 1920er Jahre persönlich kennengelernt, und schon Dix‘ erstes Bildnis seiner Eltern von 1921 lobten Kritiker als großen Wurf. 1924 malte Dix eine starrere zweite Variante, die heute im Spengel Museum in Hannover hängt. Beide Doppelbildnisse zeigen kaum mehr als die sitzenden Eltern bis zu ihren Knien. Doch obwohl sie auf einem Sofa sitzen, sind sie nicht elegant inszeniert, sondern Dix betont die Spuren ihres harten Arbeitslebens. Gerade das zweite Bildnis schönt nichts und gilt deshalb als desillusionierend objektiv.

Vielleicht hat sich Radziwill an diesem berühmten Porträt orientiert, als er das Bildnis seiner Mutter schuf – zumindest, was den Bildaufbau angeht: Denn wie Mutter Dix hat sich Mutter Radziwill aufrecht auf die rechte Hälfte eines Zweisitzers gesetzt und stützt ihren Arm auf der Sofalehne ab. Aber Frau Radziwill sitzt allein. Als Franz Radziwill seine Mutter malte, war die 54-jährige bereits seit drei Jahren verwitwet.

Wie Dix‘ Eltern entstammte Johanne Karoline Elise Radziwill, geb. Surendorff, (1871–1948) dem Arbeitermilieu. Sie war Tochter eines Tuchwebers und Frau eines Töpfermeisters, arbeitete als Waschfrau und war siebenfache Mutter. Während Dix aber in seinem schonungslosen Porträt die Entbehrungen der Arbeiterklasse betont, gibt Radziwill seine Mutter würdevoll wieder: aufrecht, selbstbewusst und gut gekleidet. Viele unterschiedliche Stoffe mit Falten, Mustern und Stickereien machen das Bild abwechslungsreich. Seitliches Licht modelliert das Gesicht, lässt die Kragen plastisch hervortreten und gibt dem Bild Tiefe. So gestaltet Radziwill das Bildnis ansprechend – und gibt auch der Figur seiner Mutter einen gewissen Witz: Als ob sie die aufrechte Pose beim Modellsitzen unbedingt beibehalten wollte, blickt sie nur aus den Augenwinkeln mit leichtem Lächeln seitlich aus dem Bild – wo Radziwill später eine Übermalung in den Hintergrund eingefügt hat.

Dieses Bild steht am Sonntag, den 05. Juni 2022 im Mittelpunkt der öffentlichen Führung durch die Ausstellung „Familie. Freunde. Fremde.“ Neben diesem Bild und einem späteren Porträt des verstorbenen Vaters zeigt sie über 40 weitere Figurenbilder und Porträts von Franz Radziwill.

 

Ort: Franz Radziwill Haus, Sielstraße 3, 26316 Dangast
Termin: 05.06.2022
Uhrzeit: 11:30 Uhr
Eintritt: 9 €

 

Zum Schutz von Publikum und Mitarbeitenden gilt im Franz Radziwill Haus weiterhin die Maskenpflicht. Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, bittet die Franz Radziwill Gesellschaft um Voranmeldung, tel. unter 04451/2777 oder per E-Mail an info@radziwill.de.